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Montagsinterview: Jennifer Sonntag & Dirk Rotzsch

Jennifer Sonntag ist TV-Moderatorin, Autorin und Diplom-Sozialpädagogin. Ihr Partner Dirk Rotzsch ist Koch, Autor und Gelegenheitsmusiker.

Was habt Ihr mit dem Tod zu tun?

Jennifer: In meinen sozialpädagogischen Tätigkeitsfeldern war ich in den letzten 20 Jahren immer wieder mit den Themen Verlust, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit konfrontiert. Auch durch den Verlust meines Augenlichts habe ich mich schon früh Themen gestellt, die Lebenseinschnitte in den Blick nahmen und mir wurde sehr bewusst, dass mir nicht alles endlos zur Verfügung stand, auch wenn es bis gestern noch selbstverständlich schien. 2019 war ich Botschafterin für die https://www.stadt-der-sterblichen.de/">Stadt der Sterblichen in Leipzig, auch um zu zeigen, dass es Bewältigungsmöglichkeiten gibt, wenn man jemanden oder etwas betrauern muss. 

Dirk: Schon einmal und seit Neuestem arbeite ich wieder in einem Pflegeheim, da ist es Alltag, dass Biographien enden. Aber wie Jenny schon sagt, Vergänglichkeit begegnet uns immer im Leben, auch wenn es ganze Industrien gibt, die uns vorgaukeln, sie können den Verfall aufhalten.


Wie seid Ihr zu diesem Thema gekommen?

Jennifer: Ich habe gelernt, dass Trauerarbeit nicht nur beim Verlust eines Menschen greift, sondern sich auch auf den Verlust von Gesundheit oder Lebensmöglichkeiten beziehen kann. Trauerarbeit und die dafür zur Verfügung stehenden Modelle haben mir in meiner Arbeit mit Menschen sehr geholfen, nicht nur bei lebensverkürzend Erkrankten, sondern auch bei Betroffenen, die z.B. einen wichtigen Sinn abgeben mussten. Sterben und Neuorientieren fasse ich hier durchaus etwas weiter und mache gern Mut, diese Themen nicht zu scheuen. Die Angst und die Verdrängung sind das, was uns lähmt, nicht das Thema an sich.

Dirk: Ich hatte leider früher als ich es gewollt hätte Berührung mit dem Thema. Meine Mutter ist recht früh (ich war zwölf) aus dem Leben geschieden (wie man es geschmeidig formulierte). Unprosaisch: Sie hat sich erhängt. Ist dann schwer für einen selbst und für die Umwelt – auch oder gerade weil Suizid eine der häufigsten Todesursachen in der DDR war. Ob das der Grund war, dass ich mich eher in der Subkultur wohlfühlte, steht zu vermuten. Allerdings kann ich nichts mit Menschen anfangen, die den Tod über Gebühr romantisieren: Er verwandelt Abermillionen Eindrücke, Erfahrungen und Emotionen in Materie.

 


Was macht der Tod mit Eurem Leben?

Jennifer: Er hat mich in vielen Bereichen zu einem aktiven und engagierten Menschen gemacht. Ich thematisiere ihn in meiner Medien-, Kultur- und Bildungsarbeit und schöpfe auch selbst Kraft aus Projekten, in denen es heilsamen Raum für das vermeintlich Undenkbare und Unaussprechliche gibt.

Dirk: Ich sehe das sehr ambivalent. Natürlich sollte man immer im Blick haben, dass der Endboss wartet. Aber das kann auch unheimlich viel Druck aufbauen. Irgendwas zwischen Motivation und Gelassenheit wäre nicht schlecht. Es gibt ja wirklich viele Menschen, die ihr Leben suboptimal nutzen, aber man muss aufpassen, dass man nicht in der Optimierungsfalle landet und als Individuum auf der Strecke bleibt für fremde Interessen. Ich wäre totunglücklich, wenn ich so enden würde wie, eigentlich, mächtige Menschen, von denen nur noch zu lesen sein wird, dass sie ein großes Missverständnis waren- deswegen sage ich: „make your life great again“.


Was denkt Ihr über unser Verhältnis zum Tod?

Jennifer: Menschen haben da unterschiedliche Schmerzgrenzen, das habe ich bei der Gestaltung von Medienbeiträgen gespürt. Einerseits kam es bei unseren Zuschauern sehr gut an, dass ich auch einmal über etwas so Unbequemes wie Trauer gesprochen habe, andererseits galt es, Worte wie Tod oder Sterblichkeit zu vermeiden. Medienmacher und Redaktionen sind hier noch sehr vorsichtig weil sie nicht ganz sicher sind, wie Zuschauer darauf reagieren. Ich beobachte hier also durchaus noch ein etwas verkrampftes Verhältnis. Beautythemen und Tierfotos werden bei Facebook und Insta zweifelsohne häufiger geliked, aber auch hier gibt es zunehmend Offenheit für traurige Themen, die schnell auch in absurde Trends kippen können. Es gibt aber einen Personenkreis, von dem ich sehr viel Dankbarkeit dafür empfange, endlich die Angst zu nehmen und einen natürlichen Umgang mit Todesthemen zu bahnen.

Dirk: Kommt er abstrakt daher wie im Film oder als virtuelles Spiel, ist der Umgang recht unverkrampft bis nicht ganz geschmackssicher. Betrifft es die Person selbst, ist man dann nicht mehr so abgeklärt. Dabei kommt es zu absurden Konstellationen: Man fährt zu Achtsamkeitsseminaren,  um mehr Lebensqualität und letztendlich Lebenszeit zu erreichen. Andererseits führt ein energie-und ressourcenvernichtendes Leben zur allgemeinen Lebensverkürzung. Was nützt es alt zu werden, wenn man gerade im Alter an Hitze und Wassermangel leidet und letztendlich eher daran stirbt…Klar man kann sich eine energieintensive Klimaanlage zulegen.


Habt Ihr einen Rat für die Menschen, wie sie dem Tod begegnen könnten?

Jennifer: Lebendiger, angstbefreiter, gestalteter. Die Lieben, die ich verabschieden musste, gehören für mich somit ziemlich bunt und fröhlich in meinen Alltag und das ist inzwischen nicht mehr düster, das ist nach einem gesunden Bewältigungsprozess und vielen Tränen sogar wieder wie Zusammenwachsen. Raten kann ich nur, was sich für jeden stimmig anfühlt. Tabus helfen langfristig im Umgang mit dem Tod oft eher nicht, hier bedrohen uns dann buchstäblich die „Leichen im Keller“ und belasten unser Seelenleben. Integrierende Trauerrituale helfen, die Ängste zu nehmen, Gefühls- und Handlungsoptionen im Umgang mit dem Tod sowie Bewältigungsmöglichkeiten können aufgezeigt werden und uns weich für das harte Thema machen.

Dirk: Dem Tod begegnet man am besten erst zum Schluss und vorher sollte jede Menge Leben sein. Einem Deutschen erklärt man es am besten so: Was nützt es, wenn ein Auto zwanzig Jahre in der Garage steht - wie aus dem Ei gepellt. Wenn es jedoch eine Laufleistung von 200 000 Kilometer hatte, klopft man zufrieden auf das Blech und sagt: „der war sein Geld wert.“ So in etwa habe ich das für mich geplant. Ich bin ein sehr ängstlicher Mensch, gerade vor dem Tod und dem Moment des Sterbens habe ich jede Menge Angst. Deswegen möchte ich in einem Gefühl der Lebenssattheit sterben, mit der Erkenntnis: Jetzt kommt nix mehr. Dann in Ruhe das Essen verweigern und alle Lebensfunktionen einstellen. Das wünsche ich jedem Menschen: selbstbestimmt sterben. Nicht eher sterben: wegen Krankheit, Armut, wegen: auf dem falschen Kontinent geboren, oder weil irgendein toxischer Mensch seine Probleme nicht in den Griff bekommt und andere tötet.

 

Foto: Stefan Sander