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Montagsinterview: Dirk Pörschmann

Dr. Pörschmann ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal und Leiter des Museums für Sepulkralkultur in Kassel.

Was haben Sie mit dem Tod zu tun?

Wie jeder Mensch werde ich sterben, wie jeder Mensch möchte ich leben. Seit Januar 2018 darf ich als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. das einzigartige Museum für Sepulkralkultur in Kassel leiten.


Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

Als ich die Ausschreibung der Stelle sah, ahnte ich, dass dieser Ort für meine berufliche wie auch persönliche Entwicklung große Potenziale bietet. Bisher wurden meine Erwartungen nicht enttäuscht. In unserem Museum stirbt natürlich niemand, doch wir zeigen anhand von Exponaten der Dauerausstellung, regelmäßigen Sonderausstellungen und vielen Veranstaltungsformaten (vom Kindergeburtstag über Lesungen, Konzerten oder wissenschaftliche Tagungen) die umfassende und alte Kultur rund um die menschliche Endlichkeit.


Was macht der Tod mit Ihrem Leben?

Das Bewusstsein über unsere Endlichkeit hat die Sepulkralkultur und auch die Religionen geschaffen. „Wohin gehen die Toten?“ haben sich schon unsere ältesten Ahnen gefragt. „Wie können wir auch nach dem Tod geliebter Menschen unsere Fürsorge für sie zeigen?“ Unser Todesbewusstsein bietet uns die großartige Möglichkeit, das Leben zu verstehen und es lebendig zu leben und nicht nur zu erleben. Das ist die tägliche Übung, der ich mich stelle: Im Bewusstsein des Todes leben. Heute Sinnvolles für meine Lieben, die Gesellschaft und damit mich tun, gerade weil morgen schon alles vorbei sein kann. Der Tod macht das Leben zum Wertvollsten, was Menschen besitzen – doch eben nur für eine kostbare Zeit.


Was denken Sie über unser Verhältnis zum Tod?

Im Alltag wird der Tod meist verleugnet, denn er scheint unseren Drang zu stören, uns unverwundbar, uns sogar „unendlich“ denken und spüren zu wollen. Die Versuchungen der Marktwirtschaft mit ihren kapitalistischen Ausuferungen sind allgegenwärtig. Das Altern, Krankheiten oder Unfälle sind Hinweise auf unser Ende. Es sind Zeichen, die uns verstehen helfen, dass wir verletzlich und endlich sind, und dass uns kein neues Smartphone, Auto, Haus und auch keine Kreuzfahrt davor bewahren können. Verlusterfahrungen mahnen uns, jeden Tag neu anzunehmen und zu gestalten. Die Corona-Pandemie macht uns dies überdeutlich. Ganze Gesellschaften erkennen wie sonst nur in Kriegen oder bei Naturkatastrophen, dass Menschen einander brauchen, weil sie verletzlich sind. Das Verhältnis zum Tod ist ein durch und durch ambivalentes: Ich will nicht sterben, doch zugleich weiß ich, dass meine Endlichkeit, also das Bewusstsein über mein Sterben und meinen Tod das Glück des Momentes erzeugen können: Jetzt fühle ich mich im Schreiben lebendig. Jetzt spüre ich das Glück, das dieser Frühlingstag schenkt. Jetzt bin ich ganz im Moment. Das Lebensglück gibt es nur im Jetzt, und ohne das Jenseits gibt es kein Hier.


Haben Sie einen Rat an die Menschen, wie sie dem Tod begegnen könnten?

Nein, ich möchte nicht als Ratgeber für solch einen individuellen Prozess agieren. Jeder Mensch wird seinen eigenen Weg finden müssen, dem Tod zu begegnen. Dies ist Teil unserer Biographie und unseres Seins. Wir können uns ein Leben lang darauf vorbereiten, und dennoch wissen wir nicht, was uns erwartet. Ich erlaube mir, den Philosophen Rainer Marten (geb. 1928) zu zitieren, der 2019 die folgenden Sätze in einem Essay zur Kunst des Bildhauers Stephan Balkenhol schrieb:
„Unser Leben ist nicht nur endlich, es braucht die Endlichkeit. Sie gehört auf belebendste Weise zum schöpferisch-fruchtbaren Ausleben des Lebens. Wie der Tod zum Leben gehört, so auch zum Fest des Lebens: als das Fest seiner Vollendung. Versteht sich der Tod so, dann zielen die Vanitasbilder ins Leere: Kein Tod macht ein gelebtes Leben zu einem vergeblich gelebten.“

 

(Foto: Anja Köhne)