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Die letzten Dinge: Lebensendgespräche

Achtzehn Lebensendgespräche hat Iris Radisch zwischen 1990 und 2015 mit Schriftstellern und Kritikern geführt. Von Martin Walser und Günther Grass bis Marcel Reich-Ranicki; sie alle sprachen mit der Literatur-Journalistin über die Vergangenheit und über das was kommt. „Es ist schon eine Zukunft da. Aber die ist der Tod.“ sagt Reich-Ranicki, der im Gespräch verbittert wirkt und nur drei Jahre später in einem Frankfurter Pflegeheim stirbt. 

Bereits das Vorwort zur Gesprächssammlung ist ein Meisterstück, aus dem man jeden Satz herauslösen und sich an die Wand nageln möchte, damit man nur ja nicht vergisst, wie man leben sollte. Die Interviews selbst sind dichte Erinnerungen an eine vergangene Zeit, in der alles anders und vielleicht bedeutsamer war. Julien Green erinnert sich an München, als Pferdekutschen die einzigen Fahrzeuge auf den Straßen waren. Und er denkt an Paris, das zwischen 1920 und 1933 vor Energie und Schaffenskraft strotzte. Bis Hitler an die Macht kam. Die Gespräche, die Radisch mit den Denkerinnen und Denkern führte, sind tiefgründig und zeugen von der Historizität des Menschen. Wir alle sind Teil der Geschichte, mit all unserem Erleben, Ertragen und Erhoffen. Als Ilse Aichinger 1996 nach ihren Wünschen gefragt wurde, antwortet sie: „Das meine Zukunft nicht mehr so lange dauert.“ Die große Pessimistin starb erst zwanzig Jahre später.

Zwischen Altersweisheit und Altersradikalität bewegen sich die Rück- und Ausblicke, die Iris Radisch in den offenen Gesprächen einfangen und festhalten konnte. Zu lesen, was diese Menschen, die sich zeit ihres Lebens intensiv mit dem Menschen auseinandergesetzt haben, über das Leben denken, gibt Anstöße. Anstöße, um über den Sinn des Lebens nachzudenken und sich für einen kurzen Moment in die Zukunft zu versetzen. Aus der heraus wir zurückblicken und unser Dasein beurteilen können. Und wenn wir dann verstehen, was wir gern wollen, dann können wir versuchen, genau dort hin zu kommen. So lange wir noch Zeit haben, unser Leben zu leben und nicht ein falsches, von dem wir meinen, dass es richtig sein muss. Denn, so schreibt Iris Radisch, „das drohende Lebensende ist […] eine Tür, durch die Lebenslügen nicht hindurchpassen.“

Taschenbuch: 304 Seiten // Verlag: Rowohlt Taschenbuch // 12,- Euro